HERBERT VOLKMANN

Ungemalte Bilder

Es gibt von Herbert Volkmann eine Reihe von Bildideen, die leider nicht von ihm verwirklicht worden sind. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Die hier dargestellten Konzepte wurden von ihm sorgfältig über zum Teil längere Zeiträume hin erwogen. Sie geben, auch wenn die Bilder ungemalt geblieben sind, Auskunft über sein konzeptionelles Denken und seine malerische Praxis.

Zur Erläuterung dieser Bildidee greife ich auf meine Aufzeichnungen vom 3. Januar 2006 zurück. Ich befand mich damals mit Herbert und seinem Vater Rolf Volkmann in der Schweiz. Wir bewohnten dort deren Wohnung in Chernex, oberhalb von Montreux. Am Rande eines ausgedehnten Spaziergangs sprach Herbert mit mir über seine Idee zu einem Bild mit dem Titel „Das Schwanenessen“. Folgendes habe ich dazu notiert:

„Inzwischen hat Herbert eine neue Bildidee: „Das Schwanenessen“. Bei der Lektüre der Bosch-Monographie von Wilhelm Fraenger hatte er erfahren, daß seinerzeit einmal im Jahr in einer Geheimgesellschaft ein Schwanenessen stattfand. Das wirkt noch heute mindestens dekadent, wenn nicht bizarr. Schwäne zu essen, ist ja unverändert mit einem Tabu belegt. Gleichzeitig sind diese Tiere mit erotischer Bedeutung aufgeladen, z.B. Leda mit dem Schwan. Herbert strebt ein Großformat an (2,50 x 4,00 m); eine gedeckte Tafel mit gebratenen Schwänen, im Stück kross/braun gebraten, so wie Gänse. Aus Dekorationsgründen und damit man die Schwäne erkennt, werden Hals und Kopf ungerupft gelassen. Die Leute fressen hemmungslos und das weiße Gefieder der Schwäne ist oftmals mit Blut bespritzt. Gleichzeitig lagern sich Schwäne und Schwanenmenschen, unten Mensch (männlich und weiblich) oben Schwan, um den Tisch, fressen ihrerseits oder „schieben ne Nummer“ ( … die Menschen mit den Schwänen und auch die Schwanenmenschen untereinander / jeder mit jedem). Ihn interessiert die Gleichzeitigkeit von Fressen, Sex und Gewalt sowie die biologische und mythische Vermischung der Wesen.

Alles muss in Lebensgröße gemalt werden und mit größter Sorgfalt in der malerischen Ausarbeitung und Durchführung. Die unausweichliche, direkte, provozierende Konfrontation wird angestrebt. Das Ding hat Potential (Zeug) zur „Ikone“. Aber nur, wenn es überzeugend durchgeführt wird, so wie bei dem Bild in der Paris-Bar, (Anm.: Endstation Sehnsucht, 2002). Wenn das gelingen sollte, kommt an den Stück keiner vorbei.

Die inhaltlichen Bezüge sind Luxus, Glamour, Film, Sex, Gewalt, Voyeurismus, Mythen, Geschichte, kunsthistorische Bezüge, Sodomie und sogar verkappter Kannibalismus. Das zentrale Thema „Mensch/Tier/Maschine“ wird auch wiederkehren. Was mag da im langen Prozeß der Entstehung noch alles ersonnen werden?!“

Wie so vieles bei Herbert Volkmann blieb auch dieses Projekt unverwirklicht. Seine damaligen Alkohol- und Drogenexzesse ließen ein Werk von solchen Ausmaßen und der damit verbundenen monatelangen Arbeit einfach nicht zu.

 

Diese Bildidee gehört zum Themenkomplex Nazis on Speed. Es besteht ein direkter Zusammenhang zur Arbeit Das Sardinensystem (Nazis on Speed III) aus dem Jahr 2008 und zu einer Ölskizze aus dem Jahr 2009, deren Verbleib leider ungeklärt ist. 

Hermann Göring bekleidete zahlreiche Ämter im NS-Regime; u. a. war er Reichsjäger- und Reichsforstmeister. Als solcher konnte er seiner Jagdleidenschaft ungebremst nachgehen. Besonders der in die Hunderte gehende Abschuss kapitaler Hirsche war ihm ein (perverses) jagdliches Anliegen. 

Volkmann war der Ansicht, dieses Verhalten müsse auch posthum noch bestraft werden. Sein Bildentwurf sah vor, daß der an eine Eiche gefesselte Göring sich voller Angst dem Herannahen von sog. „Waldweibern“ gegenübersieht. Das sind mit Messern bewaffnete, walkürenhafte Frauen („schwere Mädchen“) mit kapitalen Hirschgeweihen auf ihren Häuptern. Die Waldweiber nähern sich mit gezückten Messern dem gefesselten Göring und machen Miene, die vielen von ihm erlegten Hirsche blutig zu rächen.

Zur Vorbereitung auf das beschriebene Bild entstand im Jahr 2008 die „Skizze zu Schlachtet Hermann“ (siehe Galerie).

Im Jahr 2013 musste sich Jonathan Meese in einem Prozess vor dem Amtsgericht Kassel verantworten. Er hatte im Juni 2012 bei einer Veranstaltung des Magazins Spiegel mit dem Titel „Größenwahn in der Kunstwelt“ den Hitlergruß gezeigt und war danach angezeigt worden. Der Prozess endete mit einem Freispruch für Meese. Die Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole sei in seiner Performance durch die Kunstfreiheit gedeckt gewesen und blieb deshalb nach Paragraph 86a Strafgesetzbuch straffrei.

 

Volkmann reagierte auf das Geschehen mit der Idee zu einem Triptychon mit dem Titel Jonathan Meese mit dem Hitlergruß. Die Titel der drei Bildtafeln sprechen für sich:

 

Bild 1 Jonathan performt in Karlsruhe mit dem eisernen Kreuz als Gesichtsmaske und zeigt den Deutschen Gruß

 

Bild 2 Jonathan wird der ausgestreckte rechte Arm abgesägt / Vorbild für die Darstellung sind Martyrienabbildungen aus dem Mittelalter

 

Bild 3 Der abgesägte (immer noch) ausgestreckte Arm befindet sich in Haft

In der Alten Nationalgalerie in Berlin wird ein unvollendetes Gemälde von Adolph von Menzel aufbewahrt: „Ansprache Friedrich des Großen an seine Generale vor der Schlacht bei Leuthen 1757“. Ein anspruchsvolles Historienbild mit zahlreichem Personal.

Volkmann interessierte sich besonders für die „Kernzone“ des Bildes, also die Figurengruppe, die den König unmittelbar umgibt. Die Generale lauschen gebannt und mit höchster Aufmerksamkeit den Anweisungen ihres Feldherrn vor der Schlacht.

Nach Herberts Plan sollte die Kernzone des Menzel-Bildes kopiert werden. Dabei sollten die Gesichter der Generale durch unsere Visagen ersetzt werden. Er selbst zweimal, ich dreimal. Wichtig war ihm, dass ich genauso fragend, ratlos,wie die Generale schauen sollte, er selbst wollte „wissend-zufrieden“ schmunzeln. Die bei Menzel unvollendete Gestalt Friedrichs sollte bei Herbert als eine undefinierbare Lichterscheinung gegeben werden. Irgendwie erstaunlich sollte sie sein, aber auch gefährlich.

 

Zu diesem Bildentwurf hat sich Volkmann selbst im Jahr 2009 in einem Gespräch mit mir geäußert Es ist unter dem Titel „ … als könnte ich Wirklichkeit und Fiktion nicht mehr unterscheiden“ im Katalog zur Ausstellung im Mönchehaus in Goslar, Seite 46, veröffentlicht worden:

 

HG Ist bei diesem Bildansatz (… einer weiteren psychologischen Bildebene) zwingend erforderlich, dass mehrere Akteure im Bild sind?

 

HV Nein, es geht auch mit einer Person. Zum Beispiel bei dem Bild, das ich von dir machen will. Ich möchte dich malen und werde diese speziellen jungen Herren in deinem Kopf auftauchen lassen. Ich habe mir eine Variante mit einem Leonardo-Engelsjungen ausgedacht. Ich fand den immer bildhübsch. Maria mit Jesus und Johannes und von links guckt ein Engel ins Bild mit halb männlichem, halb weiblichem Gesicht; er sieht wahnsinnig gut aus. So ziemlich das schönste Bild von einem Jugendlichen, das ich überhaupt kenne. Da kann man sich vorstellen, auf welchem Level der Meister damals gefühlsmäßig erreichbar war. Den will ich nehmen, einbauen und dann noch einen eindeutig sexuellen Hinweis geben. Das ist, wie gesagt, ne` Idee für eine Arbeitssituation.

 

Anm.: Es handelt sich beim zitierten Bild mit großer Wahrscheinlichkeit um die sog. Felsgrottenmadonna von Leonardo da Vinci / 1. Version 1483 – 1486, Louvre, Paris / 2. Version, 1493 – 1508, National Gallery, London

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Zu diesem Bildentwurf hat sich Volkmann selbst in einem Gespräch mit HG Schröder geäußert. Es ist unter dem Titel „ … als könnte ich Wirklichkeit und Fiktion nicht mehr unterscheiden“ im Katalog zur Ausstellung im Mönchehaus in Goslar, Seite 44 ff. veröffentlicht worden:

 

HV Ich will die Leute einzeln oder auch zu mehreren abbilden und gesellschaftliche Strukturen bilden lassen, wie zum Beispiel eine fiktive Familie. Ein Beispiel macht es vielleicht deutlicher: Die Familie besteht zunächst aus Mutter Meese. Aus Mutter Meese in jüngeren Jahren, nicht in ihrem jetzigen Alter, sondern im Alter von 30 – 35 Jahren, gemixt oder verwachsen mit Ingrid Bergmann, der sie damals zum Teil auch ähnlich sah – Typ: nordische Schönheit. Mein Vater, gemixt mit Adolf Hitler. Es soll schon noch mein Vater sein, hat aber auch andere Aspekte. Jonathan als deren Sohn, auch ein bisschen gemixt mit Adolf, teilweise aber auch etwas monströs, leicht verwachsen als ein etwas daneben geratener Sprössling.

 

HG In welchem Alter wird er gegeben?

 

HV In seinem jetzigen Alter. Er soll als Jonathan zu erkennen sein. Er soll etwas von meinem Vater haben und etwas von Adolf.

 

HG Also kein Jonathan nach Kinderfotos?

 

HV Nein, nein, nach seiner jetzigen Erscheinung. Das ist zwar zeitlich nicht stimmig, aber darum geht es auch nicht. Ich selbst werde personell nicht dargestellt, sondern als derjenige, der das ganze malt. Man sieht nur die Hände und ein Stück von meinem Gesicht im Anschnitt. Vielleicht sogar eine Hand, die den Pinsel führt und diese fiktive Familienszenerie malt. ( … )

 

HG Bist du selbst auch irgendwie deformiert?

 

HV Das weiss ich noch nicht, das ist mir noch nicht klar. ( … ) Danach soll es eine weitere Ebene geben. Ich kann nicht sagen, ob das bei diesem Bild schon geschieht oder ob es dazu einfacherer Bilder bedarf. Die Personen sollen gewissermaßen etwas denken oder sich vorstellen. Beispiel: Jonathan stellt sich Geschlechtsverkehr mit Adolf Hitler vor, die Mutter denkt an Hochzeit mit riesengroßen Schleiern, mein alter Herr sieht sich als Soldat im Kriegskampf.

 

HG Besteht da nicht die Gefahr, dass die familiäre Situation aufbricht und gegenüber den Einzelaktionen ins Hintertreffen gerät?

 

HV Das bestehen eine Menge Gefahren. Die kann ich nicht vorweg kalkulieren; das muss man machen. Das muss in der Produktion ausprobiert werden, und dann kann man am Ergebnis sehen, ob das gut ist, ob das interessant und neu ist. Ich möchte natürlich Sprechblasen vermeiden.

Eigentlich gehört das Bild von Elvis Presley nicht in die Rubrik der Ungemalten Bilder. Immerhin ist das Werk in der Galerie für das Jahr 2011 abgebildet. Volkmann hat im Zeitraum Juni/Juli 2011in meiner Wohnung in Hannover am Bild Elvis gearbeitet. Auslöser war ein Traum, vom dem mir Volkmann wie folgt berichtete: Der alt gewordene und übergewichtige Elvis trägt einen weißen Paillettenanzug und schwankt schwerfällig auf der Bühne hin und her. Von Zeit zu Zeit wirft er eigentümlich gefärbte Hasen von der Bühne ins Publikum. Ergebnis: Tumulte im Saal / Traum Ende. Das Werk hatte ein fortgeschrittenes Stadium erreicht, als Volkmann nach Berlin zurückkehrte und das Bild unvollendet in Hannover zurück ließ. Später bat er mich, das Bild beim nächsten Besuch nach Berlin mitzubringen; er wollte es im Atelier zu Ende malen. Wenig später kam es bei Volkmann zu einem schweren Alkohol- und Drogenrückfall. Er versuchte trotzdem am Bild zu arbeiten und hat es dabei zerstört. Das Ergebnis habe ich fotografisch dokumentiert. Die Bildzerstörung hatte Volkmann seinerzeit schwer belastet. Seit der Herz-OP im Jahr 2009 führte kein Weg an der Einsicht vorbei, dass ihm die Drogen jahrzehntelang als Stimulanz für Kreativität und Produktivität gedient hatten. Nun aber war der Konsum zu einem schweren Hemmnis für das weitere künstlerische Schaffen geworden. Volkmann selbst äußert sich dazu im zweiten Absatz des Interviews aus dem Jahr 2014. „Der psychotische Volkmann-Stempel“ – Ein Gespräch mit Herbert Volkmann. Abgedruckt in der Rubrik Texte auf dieser Website.