HERBERT VOLKMANN
Texte
Ein Gespräch mit Herbert Volkmann
Ich möchte chronologisch beginnen und fragen, wie sind sie zur Kunst gekommen?
Schon als junger Mann im Alter zwischen 14 und 17, indem ich anfing in freien Stunden oder bei irgendwelchen Events zu zeichnen und zu malen. Angeregt wurde ich durch Hippiepartys, die Pop-Welt, sprich Plattencover.
Es ging also gleich mit der Praxis los?
Eigentlich schon. Ich zeichnete auf kleinen Zetteln oder an der Wand. Ich kann mich erinnern, daß ich einen Partyraum hatte, der war mit Styropor ausgekleidet und den habe ich bemalt. Das war sehr von der damaligen Popkultur beeinflußt.
Lief das schon unter dem Rubrum Kunst?
Nein, eigentlich eher unter Underground oder Musikbegleitung, Pop.
Sie haben die HdK Berlin besucht …
Ich habe ein volles Studium abgelegt, bis zum Meisterschüler, 6 Jahre. Ich kam vom Zeichnen zum Malen. Dann verstärkt in die gegenständliche Ölmalerei. Aktzeichnen, Stilleben, direkt nach der Natur gemalt, Menschenbilder, sprich Portraits, Büsten, Hände und so weiter. Parallel dazu kamen aber andere Sachen hoch: Collagen, Objekte, installationshafte Sachen. Das war die Zeit, in der Joseph Beuys gerade sehr bekannt wurde. Ich kam dadurch in einen arbeitsmäßigen Zwiespalt. Es wurde immer schwieriger für mich, zu glauben, daß ich mit gegenständlicher Malerei noch irgendwie Erfolg haben könnte und daß so etwas noch eine ästhetische oder eine gesellschaftliche Bedeutung haben könnte. Es hat mich in einen Zwiespalt getrieben, so daß ich nicht mehr malte. Bis Mitte des Studiums habe ich noch relativ kräftig gearbeitet, das hat sich dann aber völlig geändert. Ich hatte an der Hochschule kaum noch Kontaktpersonen und es gab dort zu dieser Zeit auch keinen Gesprächspartner mehr für mich.
Was war damals „angesagt“?
Gegenständliche oder nichtgegenständliche Malerei. Also mein Lehrer war Hermann Bachmann. Er stellte u. a. bei Springer aus, wie Baselitz übrigens auch. Er war als Marxist sehr politisch geprägt und hatte genaue Vorstellungen davon, was künstlerisch zu machen wäre. Da habe ich von der reinen gegenständlichen und ungegenständlichen Malerei schon gewisse Dinge mitbekommen.
Ihr Studium war eher handwerklich angelegt. War das seinerzeit noch die Regel oder eher die Ausnahme?
Es war die Regel. Und wie ich schon sagte, die anderen Äußerungsformen Installation, Objekt, Happening, Performance waren fast geächtet. Es war wie eine Störung, man konnte darüber nicht diskutieren. Es hieß sogar: Wenn Du das machst, bist Du keiner mehr von uns.
Wie ging es weiter?
Also mit 22 fing ich an, im Betrieb meines Vaters zu arbeiten, Fruchtgroßhandel. Ein ganz anderes Leben, das ununterbrochen die Person fordert. Fighten und Durchsetzungsvermögen waren nötig, was mir sehr gut gefiel. Das relativ zurückgezogene Leben des Malers, der ja mit sich und der Leinwand alleine ist, nun, dafür war ich vielleicht einfach noch zu jung. Damals war die Malerei für mich eh schon erledigt. Ich war eigentlich nur noch mit Objekt und Installation beschäftigt. Und da war der Fruchthof ein ganz gutes Areal, weil ich Räume hatte und Material fand, das ich benutzen konnte. Aber arbeiten und gleichzeitig Kunst machen ging eben doch nicht so richtig.
Wie haben Sie dann zum Malen zurückgefunden?
Also, Anfang der 90er Jahre, ich verdiente damals relativ gut, fing ich an, Kunst zu sammeln; das war kurz nach der Wende. Da waren zum Schluß 250 bis 300 Arbeiten in allen Größen beisammen. Objekte, Fotografie, Ölbilder, Zeichnungen und Installationen. Sehr viel Engländer, auch Amerikaner, später kamen noch die jungen Deutschen dazu, Daniel Richter und Jonathan Messe zum Beispiel. Schwerpunkt waren die frühen neunziger Jahre, also New York: Matthew Barney, Los Angeles: Raymond Pettibon, London: Sarah Lukas und Damien Hirst um mal so ein paar Namen zu nennen.
Ich habe dann nur noch für mich privat gemalt. Irgendwann gegen Ende der Neunziger mußte ich die Sammlung nach und nach verkaufen, da der Fruchthandel sich extrem rückläufig entwickelte. So hat sich alles stark verändert. Meine regelmäßige Einkommensquelle war weg und ich fragte mich, wie es nun weitergehen soll und dann kam der Jonathan Meese ins Spiel. Wir lernten uns 1996 kennen. Er interessierte sich für meine ganz frühen Geschichten, Performance, Installationen und forderte mich heraus, selbst wieder mehr zu machen. Es gab da mehrere Ölbilder, die recht gut waren. Verschiedene Leute, die sie gesehen hatten, Galeristen und der Jonathan, animierten mich, weiterzumachen. Für mich war dann auch klar, daß man nach Performance und Aktionskunst, wenn man so etwas selbst gemacht hat, auch wieder malen kann.
Es lag also eine Art Rehabilitationsmöglichkeit für das gegenständliche Malen in der Luft?
Ja, so etwa. Ich konnte das irgendwie weiterführen; ich konnte irgendwie eine Verbindung zur Gegenwart schaffen. Es gibt ja diesen Begriff vom Biologischen Film. Ich sehe die ganze malerische Handlung, auch heute noch, ziemlich künstlich. Ich spreche von einem exklusiven menschlich-psychischen Ausdruck im Kontrast zu dem, was Maschinen machen. Ich spreche auch immer vom psychischen Auge und vom maschinellen oder technischen Auge.
Wenn ich mir Ihre Bilder ansehe, dann geht es dort eher drastisch zu. Dinge wie Unfall, Desaster, Blut fallen mir auf, aber auch Sex und Lifestyle.
Es war von Anfang an so, daß solche Themen bei mir hoch kamen, Desaster und bestimmte destruktive Stimmungslagen. Dazu sehr viel aus der medialen, sprich Filmwelt. Es war mir wichtig, daß ich in der Lage war, Dinge aus der Filmwelt umzusetzen. Weil ich daran, an Bildern, Gegenständen, Handlungsschnitten, Mustern usw. ins Bild hineinwollte. Vom Fotografischen erst mal ins Bild hinein, ohne am Foto festzukleben. Außerdem sind mir die medialen Dinge in ihrem Verhältnis zur „wirklichen Welt“ wichtig.
Wenn ich mich in Ihrem Atelier umsehe, dann finde ich die Wände bedeckt mit Zeitungsausschnitten und jeder Menge Fotomaterial.
Das sind Bilder, die mich zum Malen animieren, die in Bildinhalte, in Bildkonfigurationen, integriert werden. Davon habe ich eine riesige Sammlung. Bilder aus Mode und Film, selbst-gemachte Fotos, Bilder von Freunden und Bekannten, ein Konglomerat, das ich crossover-mäßig mixe.
Die Bilder gehen also nicht eins zu eins in Ihre Arbeiten ein?
Nein, sie werden verarbeitet. Es ist ganz selten, daß ich mal eins abmale, wie neulich beim Selbstportrait. Da war die Vorlage mal besonders günstig. So etwas ist aber relativ selten und ist auch nicht Ziel der Arbeit.
Welche Eigenschaften muß das Fotomaterial haben, damit Sie es für sich auswählen?
In erster Linie muß da eine sinnliche Qualität sein. Das ist es auch, was ich untersuchen möchte. Sinnlich auf Materialien und Strukturen reagieren. Die Lust sowas zu malen, das ist fast wie eine erotische Lust. Es muß eine animative Geschichte da sei, damit ich überhaupt anfange.
Viele Fotos an den Wänden sind Momentaufnahmen aus Filmen und zeigen Doppelungen, Unschärfen und komplizierte Raumdarstellungen. Gibt es hier Dinge, die für Sie prägend waren?
Ich möchte den Filmemacher David Cronenberg nennen. Er ist Kanadier und hatte schon Anfang der Neunziger starken Einfluß auf die Kunstszene. Speziell Matthew Barney und Damien Hirst zitierten ihn oder haben sich in irgendeiner Form auf ihn berufen. In seinen Filmen sind abgesehen von Text und Handlung immer wieder im gegenständlichen Bereich liegende Mutationen zu sehen, die deutlich raffinierter und besser gemacht sind, als in anderen Splatter-Movies. Wie sich im Film „Existenz“ der Hauptdarsteller bei einem merkwürdig aussehenden Fisch- und Reptiliengericht daraus beim Essen eine Pistole baut und mit dieser und mit einem sich selbst gezogenen Zahn als Kugel den Kellner erschießt. Das ist einfach sehr überraschend und komplex. Es erinnert mich auch an Beuys und hat für mich einfach eine unheimlich hohe Reizfunktion. Ähnlich bei „Naked Lunch“ von Cronenberg. Er hat mal den Begriff „biologischer Film“ in einer narrativen Story benutzt. Ich fand den ganz gut, weil da zwei ganz unterschiedliche Elemente aus verschiedenen Ecken aufeinander kommen.
Haben Sie bei Beginn einer Arbeit schon ein Konzept oder ist es mehr ein Versuch?
Ich habe da schon ein Konzept, meist ist es so eine Art Konfiguration. Man muß ja mit irgendwas einsteigen. Ich steige mit irgendeinem Teil ein: ein Kopf, ein Arm, es kann auch sein, daß ich gleich mit einer Gesamtkomposition beginne, das ist ganz unterschiedlich. Ich fange relativ früh an, schon mal was auszumalen. Irgendwie Körperlichkeit festzulegen um mich an irgendwas festzuhalten, optisch wie sinnlich.
Ich habe den Eindruck, daß bei Ihnen die Dinge der Komposition, des Bildaufbaus relativ schnell festliegen. Daß aber die anderen Ebenen Licht, Interaktion wesentlich mehr Beschäftigung erfordern.
Für mich ist eine Raumillusion, so ein Raumgefühl, sehr wichtig. Es gibt so einen Spruch: Wenn ich keine Raumillusion erzeugen kann, dann komme ich auch nicht zur Emotion. Für mich ist es aber notwendig, zu Emotionen vorzudringen. Und das ist eigentlich das Neue, womit ich jetzt anfange. Daß zu dieser Festigkeit, die ich in der Malerei habe, zu dieser gegenständlichen Festigkeit mit relativ fest umrissenen Konturen, eine andere Gegenständlichkeit oder Halbgegenständlichkeit dazu kommt. Die unschärfer ist und sich vielleicht in Bewegung befindet, sich in extremen Hell-/Dunkelverhältnissen befindet, starke Überlagerungen hat. Auf jeden Fall anders funktioniert und nicht diese Deutlichkeit hat. Eher mit einer Unschärfe arbeitet; also Unschärfe gegen Schärfe. Das ist so das neue Ding, wo es für mich weitergehen soll.
Kann man hier die Bilder von Fischen anführen? Da ist Raum vorhanden und die Schwerelosigkeit des Fliegens.
Ja, und Unschärfe! Da ist immer so eine Bewegung drin. Die Beweglichkeit, die im Wasser ist, die hat ja was mit der Pinselbewegung zu tun. Man kann unheimlich gut Tiefen, Dunkelheiten angeben. Das kommt alles so leicht und es wird über kurz oder lang ein Bild von mir geben, wo man beides hat. Wo man auf Augenhöhe den Schnitt macht, praktisch: über Wasser und darunter, unter Wasser sozusagen. Wie es auf Fotos ja manchmal ist. Praktisch auf Wasserspiegelhöhe. Ich möchte die Materialität unter Wasser und die andere Materialität über Wasser gern gegenüberstellen. Mich interessiert, wie man so etwas machen kann, was das für ein Feeling ist.
Es gibt eine Reihe von Bildern, auf denen Persönlichkeiten aus der Berliner Kunstszene zu sehen sind, Brunnet, Richter u.a., verbirgt sich dahinter eine dokumentarische Absicht?
Na ja, die Figuren kommen ins Bild, weil ich von denen über relativ gutes Bildmaterial verfüge und vor allem, weil ich eine emotionale Beziehung zu den Personen habe. Weil es mich einfach reizt, sie zu malen. Es ist natürlich klar, daß dies ein gegenwärtiger Vorgang ist, der irgendwann als Geschichte gesehen wird. Es ist sozusagen ein Reizmuster an die Jetztzeit, das sich verflüchtigt, wenn die Menschen nicht mehr da sind. Aber das ist ein Vorgang, der die gesamte Gegenständliche Malerei betrifft.
Sie selbst tauchen häufig auf Ihren Bildern auf …
Stimmt, ich bin ja zu den Dingen der Selbstdarstellung durch die Zeit der Happenings mit einigen Erfahrungen gesegnet. Ich habe das eine Zeit lang exzessiv gesucht. Das ist ja eine Fortsetzung davon, es hat zwar mit Selbsterforschung zu tun, auch mit Exhibitionismus, hat aber auch seine Grenzen. Ich sehe Abbildungen meiner selbst nicht als Möglichkeit, die Sache weiterzutreiben, es ist halt im Kontext so mit drin.
Ich stelle diese Frage auch wegen der Serie von Bildern, die sich mit dem Rauschgiftkonsum befaßt. Ich vermute da noch einen persönlicheren Subtext.
Interessant ist auf jeden Fall, daß etwas gezeigt wird, was sonst verborgen ist. Ich versuche da eine eigene Ästhetik herauszuholen, indem ich diesem dokumentarischen Material narrative Strukturen beifüge, zum Beispiel Insekten, die da rumkriechen, merkwürdig mutieren oder daß ich es in größere Bildzusammenhänge integriere, wo noch etwas Zusätzliches passiert.
Warum kommen in der Serie der Drogenbilder Insekten vor, die auf den Fotovorlagen fehlen?
Ich hatte ja tatsächlich mal, als ich kräftig Drogen konsumierte, in der Wohnung eine ganze Menge Insekten, die meine Leidenschaft teilten und sich auch an diesen Dingen gütlich taten. Es ist bekannt, daß Tiere auf Opiate reagieren und es gibt da die verrücktesten Geschichten. Daß die Insekten sich in einen Kreis setzen etc. Dazu kommen natürlich die Geschichten von Borroughs „Insektenstaat“. Insekten sind für mich Tiere, die etwas mechanisch-maschinelles haben, von denen man jetzt schon sagen kann, daß sie uns mit Sicherheit überleben werden. Das macht sie für mich interessant.
Insekten können auch Phobien auslösen.
Genau, und sie kommen auch in Entzugsszenarien, Negativbildern, Angstbildern vor. Die Spinnenräume, die Insekten, die auf einem herumkriechen, wenn man Entzug hat, das ist ja auch eine sehr nahe Geschichte. Man hat das Gefühl, man habe ein Insekt im Körper. Das gibt’s ja alles. Das sind Sachen, die mit reinspielen. Ich suche sehr diese Hintergründigkeit.
Sind Ihre Bilder auch politisch-gesellschaftlich zu verstehen?
Ich weiß nicht recht, ob man das als politische Stellungnahme sehen kann. Wenn ich´s mal naiv sagen soll, sehe ich als die schärfsten Konkurrenten meiner Malerei etwas Maschinelles an. Also Fotografie und Film. Ich sehe mich gewissermaßen im Kampf mit solchen Dingen. Das fließt stark in die Inhalte ein.
Ich habe neulich von Ihnen gehört, das Bild in der Paris-Bar sei in den letzten Jahren eines Ihrer besten.
Die meisten Leute halten es für ein Foto, was ich natürlich nicht für ein Qualitätsindiz halte. Einmal hat es Perfektion in der Zusammensetzung, denn in Wirklichkeit gibt es da überhaupt nicht ein Foto, sondern es gibt etliche verschiedene. Es sind mindestens fünf oder sechs verschiedene Vorlagen gewesen, darin liegt die Perfektion. Das hat halt sehr gut geklappt; aber nicht nur das. Es hängt sehr mit der Farbigkeit oder mit der Schwarz-Weiß-Geschichte in dem Bild zusammen. Die meisten Leute unterschätzen ja gerade bei gegenständlicher Malerei die Bedeutung der Hell-Dunkel Kontraste oder das, was sich im Schwarz-Weißen abspielt. Das Bild hat so eine Hintergründigkeit. Es hat sich an ein paar Stellen noch etwas entwickelt, was über die Gegenständlichkeit hinausgeht: Farbveränderungen, Strukturveränderungen. In den Gläsern kommen Farben zum Vorschein, Pinselstriche, die da aber eigentlich gar nicht hingehören und die die Sache merkwürdig verändern, genau wie der Schinken, der vorne im Bild steht und der sich zu einer bizarren Struktur und Farbveränderung verdichtet. Die bringen das Ding merkwürdig an den Rand von Essbarkeit, Trinkbarkeit oder was auch immer.
Ihre Bilder muß man regelrecht entziffern. Besonders bei den räumlich anspruchsvoll angelegten Bildern kann man auf den zweiten oder dritten Blick immer noch mehr sehen.
Es gibt natürlich die Endlosigkeit des Blickes, die man sucht. Daß dieses „immer noch mehr sehen“ und diese sich endlos verzweigende Information eintreten, das sind natürlich gewünschte Sachen. Für mich ist Endlosigkeit verbunden mit Größe und mit Freiheit. In diesem Bereich suche ich, das würde ich schon sagen. Auch das Geheimnis, das nicht zu Entziffernde, was stehen bleibt, das ist auch so ein Punkt.
Wie würden Sie das Verhältnis Ihrer Bildthemen zur Realität dessen, was jeder von uns erleben kann, beschreiben.
Ich sehe das wie Spiegelvorgänge: In der Fiktion passiert etwas, was auf die Realität zurückwirkt. Im Extremfall kollektive Träume, kollektive Traumbilder, sprich Filmbilder, die auf die Wirklichkeit wirken. Ein Beispiel: „Pulp Fiction“ von Quentin Tarantino: Die langen Haare von John Travolta, der als Verbrecher auftritt und sich auch noch einen Heroinschuss setzt, und damit die Drogen- und Modewelt total durcheinander brachte. Von der fiktiven Welt wird auf die Wirklichkeit ausgestrahlt, und umgekehrt wird von der Wirklichkeit auch auf die fiktive Welt zurückgestrahlt. Das ist ein Hin und Her wie bei einer Spiegelung. Wobei ich den Eindruck habe, daß sich der Prozeß in diesem Bereich stark beschleunigt hat.
Was bedeutet Ihnen das großstädtische Milieu, der Umgang mit Galeristen, Sammlern und anderen Künstlern?
Ich bin hier geboren, ich habe immer in Großstädten gelebt und kann mir was anderes gar nicht vorstellen. Ab und zu ist natürlich die Möglichkeit, in eine gewisse Szenerie einzutauchen, Kontakte zu pflegen und zu suchen, zu Gesprächen über dies und jenes zu kommen, ganz gut. Das kann sehr bereichernd sein, es kann aber auch sehr störend sein. Man muß immer die Rückzugsmöglichkeit haben. Die habe ich hier aber ziemlich gut, weil ich nicht in Mitte wohne, sondern etwas abseits, wo es ruhiger zugeht.
Gibt es für Sie noch den Bezug zur Tradition „Berliner Maler“?
Ich kann mich traditionell festmachen an Corinth; und wohl auch an Baselitz, obwohl das schon weiter entfernt ist. Böcklin und Liebermann sind auch zu nennen, die zum Teil ja hier in der Stadt gelebt und gearbeitet haben. Grosz würde ich noch dazu zählen. Für mich sind Parallelitäten in der Härte und Aggressivität gegeben, in dem Schonungslosen, was da geboten wird. Zu meinen Bildern hat mal jemand eine sehr treffende Bemerkung gemacht; meine Bilder sähen aus wie eine Mischung aus Lovis Corinth und David Lynch. Fand ich gar nicht so schlecht.
Herr Volkmann, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Das Gespräch fand am 13. November 2004 im Atelier von Herbert Volkmann in Berlin-Charlottenburg statt. Die Fragen stellte HG. Schröder, Hannover
Ein Gespräch mit Herbert Volkmann
Deine letzte Ausstellung fand in Kopenhagen im Jahr 2011 statt. Seitdem gibt es deutliche Veränderungen in deinem Werk. Rückblickend fällt mir der allgemeine Personalwechsel ins Auge. Nazis und Drogenszenen sind ganz verschwunden; statt dessen treten Popstars und allerlei Berühmtheiten aus der internationalen Medienwelt ins Bild – bis hin zu Charles und Camilla in den letzten Arbeiten. Welche Entwicklung zeichnet sich da ab?
Man muss unterscheiden zwischen Bildern, die unter Alkohol- bzw. Drogeneinfluss gemalt worden sind – das waren bis zum ersten Krankenhausaufenthalt (2009) ja fast alle – und solchen, die nüchtern entstanden sind. Ich war damals der Ansicht, dass gute Bilder ohne Suchtmittel nicht zustande kommen könnten. Ich wusste nach den Operationen in 2009 und 2011 zwar, dass ich handwerklich noch in der Lage war, zu malen, hatte aber die große Sorge, dass eine interessante Bildkomposition nicht mehr so spannend entstehen und nicht so konsequent ausgeführt werden könnte. Diese Fähigkeit wurde dann aber im Zuge einer Umgewöhnung wieder erreicht. Mir wurde klar, dass es nur noch nüchtern weitergeht oder überhaupt nicht. Wichtig war, dass ich überhaupt planerische Bild- und Arbeitsvorstellungen entwickeln konnte. Die Komposition wurde nun früher bedacht und geplant. In den Vorjahren ließ ich mich stark in die Sachen „hineinfallen“ – mit allen Verwicklungen, die das nach sich zog.
Mir fällt auf, dass das Portrait in den Bildern stark in der Vordergrund getreten ist. Ein besonderer Schwerpunkt liegt offensichtlich bei Amy Winehouse, die in der aktuellen Ausstellung gleich viermal vertreten ist.
Die Bildmotive ergeben sich zum Teil aus Identifikationen. Bei Amy ist es ganz klar eine Stellvertreterposition. Da ist vor allem ihr Drogenkonsum. Sie hat nicht versucht, ihre Abhängigkeit zu verheimlichen; sie hat sich z. B. fotografieren lassen, auch wenn sie total zu war. Es gibt Pressefotos von ihr, die sich hervorragend als Bildmaterial für meine Arbeit eignen mit starken Ähnlichkeiten zu meiner eigenen Geschichte, zumindest was den Suchtaspekt betrifft. Es entstanden verschiedene Portraits von ihr, zum Teil sehr nah abbildend an der Person aber auch interpretierend zusammen mit ihrem Freund Pete Doherty.
Ausgangspunkt für „Desasterdance“ war ein Pressefoto, auf dem die beiden sich völlig zugedröhnt gegenseitig stützen. Die Arme der Winehouse sind auf dem Foto eigentümlich überlängt. Das hat dann bei dir die Assoziation von Schlangen ausgelöst. Daraus wurde dann der „Snakedance“. Das Ergebnis kann man wohl als eine künstlerische Vertiefung der extremen Lebensführung der Dargestellten verstehen.
Richtig. Das Bild wurde gemalt, aber irgendwie stellte es mich nicht zufrieden. Den Titel „Desasterdance“ gab es schon, aber irgendwie war die Katastrophe noch nicht zu erkennen. Sie kam dann in Form kaum kontrollierter Farbeingriffe. Verschiedene Farben wurden auf eine Pappe gegeben und mit relativ hohem Zufallsrisiko auf die Leinwand gedrückt. Das Ergebnis, das wie eine Verwüstung aussieht, gefiel mir sehr gut und hatte dann auch Folgen für die nächsten Bilder.
Danach kam die Collage „Desastertrip“. Hier löst sich die Komposition stark von den Bildvorlagen.
Ich versuchte das Thema abstrakter, schnittmäßig, additiv anzugehen und dabei Prozesse von Steuerung und Zufall miteinander in Verbindung zu bringen.
Die Collage schöpft unter anderem aus den bildtechnischen Möglichkeiten des Copyshops: Spiegelung, Rasterung, Falschfarben und ist dadurch ziemlich komplex geworden.
Gedruckt wurde auch wieder. Das Ding ist dann so etwas Voodoo-mäßig geworden – wie ein Beschwörungsgegenstand, Fetisch, Tattoo – so in der Art. Das war so nicht geplant, entsprach aber dem Bildthema und ist demzufolge auch nicht einfach zu wiederholen.
In der Reihe der Amy-Portraits müssen wir über die „Altmeister-Amy“ sprechen – das Portrait mit schwarzem Hintergrund. Das ist eine für dich untypische Arbeit, weil es nicht aus einer Anzahl von Fotovorlagen zusammengeschnitten und montiert worden ist, sondern auf einer einzigen Vorlage beruht. Könnte man boshaft von einem „abgemalten Foto“ sprechen?
Ich sehe mich durchaus in einer kämpferischen Auseinandersetzung zwischen dem biologisch-menschlichem Auge und dem maschinellen Auge. Ich würde mal das maschinelle Auge mit einem Kameraauge gleichsetzen. Im Falle der Amy bin ich einfach am technischen Auge näher dran geblieben. Ich lasse mich immer von Fotos und von Personen inspirieren und mache dann Portraits, die über das Faktum der Ähnlichkeit hinausgehen oder die Ähnlichkeit vernachlässigen. Siehe die Portraits von Francis Bacon, der auch immer Fotos brauchte, um überhaupt in den Rhythmus der ganzen Sache zu kommen.
Kann man sagen, dass sich in dem Amy-Bild deine eigene Beziehung zu ihr niederschlägt?
Nun, dieses Amy-Portrait ist eben der Fetisch. Das ist genau das erste Ding, mit dem die Sache in Bewegung kam. Ihre momentane Situation oder Befindlichkeit hat sich in ihrem speziellen und sehr eindringlichen Gesichtsausdruck konzentriert und genau da ist die ganze Geschichte für mich angesprungen. Ich hatte den starken Drang dieses Gesicht zu malen und zwar ganz direkt, so wie es da war. Und das war auch der Versuch, ihr über das Malen näher zu kommen.
Für mich ist in dem Bild das riskierte Leben der Amy Winehouse in seiner ganzen Tragik und Abgründigkeit dargestellt.
Kann man so sagen. Das bestätigen mir jedenfalls Betrachter, die sich emotional stark von dem Bild angesprochen fühlen und besondere Dinge wahrnehmen. Das Bild war für mich der Erstzugang zu Amy und in den folgenden Bildern wurde die Sache immer offener und immer breiter vorgetragen. Ich sehe inzwischen, dass das Bild in seiner Wirkung über das Foto um einiges hinausgeht.
Mal was ganz anderes. Seit wann bist du mit Alexander Iskin im Atelier zusammen und wie ist es dazu gekommen?
Ich bin seit etwa 2 ½ Jahren mit ihm zusammen. Ich lernte ihn am Rande der Ausstellung in Goslar kennen. Er wollte Malerei studieren und fragte mich, ob ich ihm dabei helfen könne. So sind wir zusammengekommen. Er hat dann angefangen, bei mir im Atelier zu arbeiten. Zunächst kleine Formate und Papierarbeiten. Das wuchs dann alles und es wurden relativ schnell gewisse gestalterische Qualitäten bei ihm sichtbar. Es gab auch positive Reaktionen von Künstlern, von Sammlern und aus dem Umfeld. Inzwischen ist er so weit fortgeschritten, dass er in Kürze seine erste eigene Verkaufsausstellung in einer gewerblichen Galerie machen wird.
So ein Zusammenleben in einem Atelier setzt Toleranz, Rücksichtnahme und vor allem Gestimmt-heit füreinander voraus. Was ist für Euch beide der Mehrwert oder der positive Effekt der Atelier-gemeinschaft?
Zwischen uns besteht ein Altersunterschied von 35 Jahren. Für mich ist interessant zu sehen, wie sich bei ihm als einem sehr jungen Maler der künstlerische Geist und seine artistischen Fähigkeiten entwickeln. Das hat für mich als älterem Künstler schon einen ziemlich erfrischenden Ereignischarakter. Das bedingt schon seine völlig andere Lebenserfahrung. Er gehört zu einer Generation, die von Kindesbeinen an mit dem Computer aufgewachsen ist. Er denkt ja fast schon wie ein Computer und ist stark auf das Internet orientiert.
Das ist zweifellos anregend. Es gibt aber auch noch diese sprichwörtliche „Einsamkeit des Malers vor der Leinwand“
Naja, diese Einsamkeit, die hält er noch nicht so ganz aus. Auch die Kunstgeschichte ist für ihn nicht so eine Fundgrube wie für mich. Er reagiert mehr auf aktuelle Dinge des Zeitgeschehens oder auf die Klassische Moderne / Picasso, Bacon usw. Für mich ist aber der Aspekt wichtig, dass ich nüchtern male (… nüchtern malen muss) und dass er mich beobachtet, anfeuert und auch die Glocke läuten würde, wenn etwas schiefgehen sollte. Er fordert mich auch zu besonderen Leistungen heraus. Es entsteht natürlich auch Konkurrenz. Die Situation ist also für beide spannender und unterhaltsamer, als wenn man immer alleine im Atelier wäre. Es gibt natürlich auch Phasen, in denen man lieber allein sein möchte, Freiräume sind für beide aber genug vorhanden.
Musst du dich ihm gegenüber erklären?
Er stellt Fragen, will Sachen genau wissen und ich muss mich schon erklären. Dadurch werde ich natürlich mit mir selbst klarer. Daher kommt auch die Hoffnung, dass die Dinge in der Malerei sich entwickeln und deutlicher werden – bei ihm und bei mir auch.
Die Bilder haben in letzter Zeit die Tendenz, größer zu werden. Das ist in der Ausstellung „Society Coma“ nicht zu übersehen. Formate von 140 x 210 cm hat es ja lange nicht gegeben.
Ich sehe das auch so. Die Formate werden größer, vor allem aber kompakter. Es fällt mir leichter, bestimmte Dinge mit etwas größerem Pinsel zu artikulieren. Im Grunde ist es so, dass es mir auf den Bildern grundsätzlich immer an Platz fehlt. Es ist schwierig für mich, das Format im Voraus zu bestimmen. Oft fehlen mir 10 cm auf der einen und 20 cm auf der anderen Seite. Deshalb wähle ich neuerdings etwas größere Formate. Ein anderer Grund ist die Motivwahl und sagen wir mal das größere malerische Bewegungsvokabular, das von gegenständlich bis abstrakt, von scharf bis unscharf, abbildend oder interpretatorisch, transformatorisch oder tachistisch, aktion-mäßig reicht. Das Vokabular ist ja inzwischen ganz offen.
Wie würdest Du dich heute in der Kunstszene verorten? Du bist maltechnisch souverän ausgestattet, aber das ist ja noch kein abendfüllendes künstlerisches Programm.
Ich bin gegenständlicher Maler, aber das ist ja heute ein sehr offener Begriff, der nicht mehr viel aussagt. Ich sehe, dass sich momentan viele Koordinaten der Kommunikation, des Lebens und des Erlebens stark verschieben. Das betrifft Raum und Zeit sowie die Verlagerung der Kommunikation auf technische Hilfsmittel. Darauf hat meiner Meinung nach die Bildende Kunst noch nicht adäquat reagieren können. Wissenschaft und Technik schreiten voran, aber die Kunst hat Schwierigkeiten, den Dingen zu folgen und darauf zu reagieren. Auf das alles mit einer neuen spezifischen Bildsprache zu antworten, erscheint mir überfällig. Das erfordert aber Künstlertypen, deren Ziel es ist, neue Wege zu finden, die wie Entdecker unterwegs sind und die kommerziellen Erfolg erstmal für nicht so wichtig halten. Im Moment ist das intellektuelle Moment aber eher an den Rand gedrängt. Da sehe ich die Dinge gerade so im Absinken begriffen.
Es gibt den übermächtigen Markt mit all seinen Verlockungen und Vorgaben. Die Grenzen zwischen Kunst, Kunstgewerbe, z.B. Mode, verwischen immer mehr. Ich habe auch den Eindruck, dass Klatsch aus der Branche in der Berichterstattung immer breiteren Raum einnimmt und man dem Publikum formale Debatten kaum noch zutraut oder zumuten mag. Wie schützt Du Dich vor diesen Einflüssen und kunstfremden Anforderungen wie Arbeitsgeschwindigkeit, Output und Vermarktungsaspekten?
Naja, ich grenze mich ja schon durch meine Person als solche ab. Ich arbeite langsam und bin wegen meiner Arbeitsgeschwindigkeit eigentlich gar nicht markttauglich. Den elitären Charakter von Kunstgegenständen und Künstlern halte ich unverändert für extrem wichtig – übrigens auch in der Person von Sammlern. Mir ist eine kleine Ausstellung von sieben hervorragenden Bildern tausendmal lieber als eine Ausstellung mit zwanzig Arbeiten. Qualität und der innovative Wert können nicht hoch genug sein – wenn man überhaupt eine Vorstellung davon hat, was das sein könnte. Mit dieser Haltung brauche ich mich gar nicht groß zu schützen, ich tue es automatisch.
An welches Publikum wendet sich Herbert Volkmann eigentlich?
Ich bin wohl eher jemand für Spezialisten. Kunst- und Kulturhistorische Bezüge sind in den Bildern fast immer vorhanden und es ist auch kein Zufall, dass ein großer Teil meiner Arbeiten von anderen Künstlern gekauft wurde.
Würdest Du sagen, dass Deine Bilder eine unterhaltende Qualität haben. Witz, Ironie, Lockerheit?
Man sollte sich jedenfalls selbst nicht zu ernst nehmen. Ich bin schon zu gewissen Spezialitäten oder Leichtigkeiten in der Lage. Der Ganster Nicolson in Chinatown, der als Warnung einen Messerschnitt in die Nase bekam, ist so ein Fall. Das ist einerseits ein Filmzitat, aber auch nicht besonders ernst.
In der aktuellen Ausstellung sind die Protagonisten in Situationen zu sehen, die real gar nicht möglich sind. Sinatra in einem Bild mit dem Mörder James Holmes / Charles und Camilla begegnen Diana, obwohl sie längst tot ist / Amy mit den Schlangen – das hat es ja gar nicht gegeben. Da wird in den Bildern unsere kollektive Medienerfahrung mit dem höchstpersönlichen psychotischen Beitrag eines Herbert Volkmann zusammengefügt. Das Ergebnis bleibt aber immer an eine wie immer geartete gegenständliche Möglichkeit gebunden. Die Bilder sind konstruiert und können so letztlich doch nicht sein.
Es ist im Grunde die Wirklichkeit als Film. Ich begreife die Wirklichkeit als kollektives Bildgedächtnis und versuche das in meinen höchstpersönlichen Film einzubauen. Einen Film, den es so nicht gibt und auch nicht geben kann. Da ist ganz wichtig. Die Dinge können so wie auf dem Bild nicht passieren; sie sind konstruiert aber subjektiv denkbar. Das ist meine Strategie, um auf die stark bildgestützte Kommunikation, die wir haben, zu reagieren. Das kommt wohl daher, dass ich seinerzeit über die Performance-Kunst wieder zur Malerei gekommen bin. Ich denke immer wie „Kunst in der Kunst“. Ich benutze künstliche Situationen, die ich für mich weiterdenke und hochtreibe und – wenn man so will – mit meinen psychotischen „Volkmann-Stempel“ versehe.
Spielen dabei deine Drogenerfahrungen noch eine Rolle?
Ja natürlich, die werden immer noch erinnert – speziell in Träumen. Und auch die Koma- Erfahrungen aus den Krankenhausaufenthalten sind wichtig und die Gehirnprobleme, als ich Bakterien im Gehirn hatte. Ein Koma ist ja etwas ganz anderes als ein Traum oder eine Halluzination. Ein Koma hat einen viel höheren Wirklichkeitscharakter; ich konnte jedenfalls den Koma-Zustand von der Wirklichkeit nicht unterscheiden.
Könnte man von einem „psychotischen Realismus“ sprechen?
Von einem psychotisch-komatösem Realismus, oder von einem psychotisch induziertem Realismus. Ja, könnte man sagen. Das soll aber alles noch entgrenzter werden, als es jetzt ist. Direkter, mehr Bewegung und die Farben stärker hochfahren. So ein Flash-Charakter, mit einer Farbigkeit wie bei Kirchner oder beim deutschen Expressionismus. Ich suche letztlich Bilder, die einen neuen Freiheitsgedanken in sich tragen und die emotional berühren können.
Das Gespräch fand am 2. März 2014 im Atelier von Herbert Volkmann in Berlin-Mariendorf statt. Die Fragen stellte HG Schröder, Hannover.